Ärztegesetznovelle beschneidet die Selbstverwaltung der Ärzteschaft - Bund geht vor Ländern in die Knie - Länder sollen Aufgaben der ärztlichen Selbstverwaltung übernehmen.
Still und von der Bevölkerung kaum wahrgenommen, hat der Nationalrat einen tiefen Eingriff in die Autonomie der Selbstverwaltung der Ärzteschaft beschlossen. Ausgelöst durch Sprüche des Verfassungsgerichtshofs, der in der direkten Übertragung staatlicher Aufgaben des Bundes an die Selbstverwaltung der Ärzteschaft ein Übergehen der Landeshauptleute als Träger der mittelbaren Bundesverwaltung erkannt hatte, waren einige Passagen des Ärztegesetzes zu korrigieren.
Die Führung der Ärzteliste und die Kompetenz zur Streichung aus diesem Berufsverzeichnis der Ärzteschaft, die Genehmigung von Ausbildungsstätten und -stellen sind als Aufgaben des Bundes primär an die Länder und nicht an die Ärztekammer zu übertragen, so der Tenor der Entscheidung der Verfassungsschützer. Denn die Vollziehung des Bundes ist, soweit es sich um eine Angelegenheit der mittelbaren Bundesverwaltung handelt, vom Landeshauptmann und den ihm unterstellten Landesbehörden auszuüben. Analog betrifft dies auch die Qualitätsvorgaben für Arztpraxen und die Kontrolle ihrer Einhaltung.
Soweit so recht! Nachdem all diese Agenden seit vielen Jahren anstandslos und in akribischer Umsetzung der Bundesgesetze von der Österreichischen Ärztekammer, unterstützt von den Länderkammern, ausgeführt wurden, wäre es schlüssig gewesen, dass sie auch weiterhin von den Selbstverwaltungsorganen der Ärzteschaft, jetzt allerdings im Verantwortungsbereich des Landeshauptmannes, der Landeshauptfrau, als Organ der mittelbaren Bundesverwaltung besorgt werden. Schließlich hat sich die Ärztekammer in diesen Materien eine hohe Sachkompetenz erworben und funktionierende Gremien aufgebaut. Sachlich ist ihrem Agieren und ihren Entscheidungen nichts vorzuwerfen. Nicht zuletzt wurden und werden auch die daraus entstehenden Kosten seit Jahren von der Ärzteschaft getragen.
Es geht um die Macht
Jetzt sollen diese Aufgaben weitgehend in die Hände der Länder gelegt und von diesen besorgt werden. Dies hat der Nationalrat auf massiven Druck der Bundesländer beschlossen. Diese sehen in der Übertragung der Bundesagenden einen Machtzuwachs, der die zu erwartenden Kosten für den Aufbau von neuen Verwaltungsstrukturen und notwendigen Kompetenzen relativiert. Endlich die Ausbildungsagenden in den Krankenhäusern nicht nur zu vollziehen, sondern auch fachlich beeinflussen und steuern zu können, ist ein langgehegtes Ziel der Länder als Träger öffentlicher Krankenanstalten. Auch die Aussicht zukünftig bestimmen zu können, ob jemand den Arztberuf ausüben darf oder nicht, wie auch die Qualitätsnormen in Arztpraxen vorzugeben und zu überwachen, waren Anreize genug, um Fragen der eigenen Qualität in der Umsetzung oder der Mehrkosten für die Steuerzahler für den Aufbau zusätzlicher, regionaler Verwaltungsstrukturen zu ignorieren.
Dass die Bundesländer auch tief in den Aufgabenbereich eines freien Berufes eingreifen, stand nicht einmal zur Diskussion. Denn, wer in der politischen Führung wird schon einen Gedanken an das grundsätzliche Selbstverständnis der Ärzteschaft verschwenden, wenn es darum geht, der Angst vor politischer Bedeutungslosigkeit durch Anhäufung neuer Agenden entgegenzutreten? - Koste es was es wolle.
Angriff auf den freien Arztberuf
Einen freien Beruf auszuüben bedeutet, geistig-ideelle Leistungen - eigenverantwortlich, fachlich unabhängig und aufgrund besonderer beruflicher Qualifikationen und ethischer Grundlagen - persönlich zu erbringen. Dies betrifft in der Regel intellektuelle Leistungen, die als gemeinschaftswichtige Tätigkeiten im Interesse ihrer konkreten Auftraggeber - in unserem Fall zumeist der Patientinnen und Patienten - aber auch des Staates angeboten und verrichtet werden. Neben direkt geleisteter ärztlicher Hilfe gilt es oft zudem den Nöten, Wünschen und Vorstellungen des Einzelnen gegenüber anonymen Institutionen wie auch gegenüber den Einrichtungen des Staates eine Stimme zu verleihen. Damit gehört es zu den ärztlichen Aufgaben sui generis, die Individualität und Unabhängigkeit der Patientinnen und Patienten vor unangemessenen kollektiven Interessen des Staates zu schützen. Ökonomische Restriktionen aber auch ordnungspolitische Staatsinteressen, die Persönlichkeitsrechte gefährden, müssen von freien Berufen aufgezeigt werden.
Zu diesem Selbstverständnis freier Berufe bedarf es bestimmter Privilegien, die der Staat zur Autonomie der Berufsausübung und der Selbstkontrolle durch eine eigene Interessenvertretung gewähren muss. Darunter fällt die Selbstverwaltung in den Kammern der freien Berufe, die Festsetzung berufsständischer Normen, die Führung einer Standesliste zur Erfassung der Berufsangehörigen, die Organisation der Ausbildung und Fortbildung, die Überwachung der Qualität der Leistungserbringung wie auch ein eigenes Disziplinarwesen.
Dass eine freiberufliche, autonome Selbstverwaltung in ihrem Handeln und Streben nach fachlicher wie geistiger Unabhängigkeit bisweilen auch als Widerpart des Staates und seiner Organisationen wahrgenommen wird, liegt in der Natur der Sache. Schließlich ist der Staat verpflichtet ein System zur Gesundheitsversorgung aufzubauen, vorzuhalten und das dazu notwendige Regelwerk vorzugeben. Dennoch ist es geboten die Ärzteschaft mit ihrer fachlichen Expertise einzubinden und zu hören. Ebenso muss Spielraum geschaffen werden, damit die Ärztinnen und Ärzte, im Rahmen ihrer fachlichen und ethischer Gebundenheit, die individuellen Bedürfnisse ihrer Patientinnen und Patienten erfüllen können.
Paradoxer Weise fällt es Ärztinnen und Ärzten gerade in modernen Sozialstaaten mit der Dominanz eines „wohlmeinenden Staates“, der zu wissen glaubt, was seinen Bürgern guttut, zunehmend schwerer, individuelle Leistungen unbeeinflussbar sicher zu stellen. Besonders dann, wenn Ärzte quasi als Amtswalter für das öffentliche System in vertragsärztlichen Funktionen oder als Angestellte öffentlicher Gesundheitseinrichtungen tätig werden, stehen sie oft vor dem Dilemma staatlicher Einflussnahme versus individueller Behandlungsnotwendigkeiten.
Mit der Entscheidung des Nationalrates, der - unter massivem Druck der Ländervertreter - der Selbstverwaltung der Ärzteschaft Aufgaben entzieht, setzt sich diese Tendenz fort. – Auch wenn es diesmal nicht der Bevölkerung, sondern nur dem offensichtlich chronisch gedämpften Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl der Länder und deren Vertretern guttun sollte.