Hühnerlachen

 

Die Redewendung „Da lachen ja die Hühner" drückt aus, dass etwas lächerlich, absurd und nicht ernst zu nehmen ist. Attribute, die - bei allem Respekt – mehr oder weniger regelmäßig auch politischen Aussagen und Handlungen anhaften. Man hört sie, liest sie und geht in seinen Gedanken weiter. Nur selten, dass politische Absurditäten die Reizschwelle überwinden und zum Verweilen einladen. Wie zuletzt die Vorgänge um die Sondersitzung des Nationalrates am 29.Jänner dieses Jahres. Auf Verlangen der SPÖ, den Ärztemangel zu thematisieren, bat Präsident Wolfgang Sobotka unsere Parlamentarier außertourlich ins Ausweichquartier vor der Hofburg.

 

In ihrem Entschließungsantrag warnt die ehemalige Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner vor einem Ärztemangel und fordert von ihrer Nachfolgerin ein Maßnahmenpaket dagegen. Sie belegt die Brisanz ihres Antrags mit Ärztezahlen und Pensionsprognosen vom Dezember 2018, also einem Jahr nach ihrem Ausscheiden als Ressortverantwortliche und zehn Jahre nach Übernahme der Gesundheitsagenden durch Alois Stöger. Zahlenmaterial, das eine Momentaufnahme einer allgemein bekannten Entwicklung dokumentiert. Szenarien, auf die die Ärztekammer schon seit Jahren hinweist, Versäumnisse in der Versorgung mit Kassenärztinnen und Kassenärzten, die in vielen Regionen Österreichs schon empfindlich gespürt werden. „Der Ärztemangel wird akut“ kann man im Titel des Entschließungsantrags lesen. „Die Lunte brennt also von beiden Seiten: Während in den nächsten Jahren eine Pensionierungswelle bei den Ärztinnen bevorsteht, wird die österreichische Bevölkerung immer älter. 2020 werden mehr als 500.000 Menschen in Österreich 80 Jahre oder älter sein - damit einhergehend oftmals auch chronisch krank, multimorbid, pflegebedürftig oder demenzieIl erkrankt“ erfahren die - bestimmt staunenden - Abgeordneten bei ihrem außerordentlichen Treffen.

 

Staunend wohl auch über den bescheidenen Neuheitswert dieser Informationen, der die Sondersitzung im Hohen Haus rechtfertigen soll. Schließlich sind die Entwicklungen seit Jahren bekannt und für viele Abgeordnete selbst erlebte Geschichte.

 

Zur Erinnerung: In den Siebzigerjahren bildeten niedergelassene - größtenteils männliche - Berufsangehörige mit Kassenverträgen die Basis ärztlicher Versorgung. Wahlärzte waren selten, angestellte Ärztinnen und Ärzte eine Minderheit und auch die verfügbaren Stellen in den Krankenhäusern gering. Eine kassenärztliche Tätigkeit bedeutete berufliche Zufriedenheit und wirtschaftliche Sicherheit. Gegen den auch damals bestehenden Hausärztemangel hatte die erste Gesundheitsministerin Ingrid Leodolter zusätzliche Ausbildungsstellen subventioniert, wenn Ärzte sich verpflichteten anschließend in die Niederlassung zu gehen. Eine neue Gesetzeslage setzte die Krankenhäuser unter Druck. Sie mussten Ausbildungsstellen schaffen, um den sogenannten “Bettenschlüssel”, die gesetzliche Verpflichtung pro 15 Krankenhausbetten eine Ausbildungsstelle für Allgemeinmedizin anzubieten, einzuhalten.

 

Ab den Achtzigerjahren folgte durch die herangewachsene Generation der “Baby-Boomer” eine Ärzteschwemme. Gleichzeitig investierten besonders Länder und Gemeinde massiv in den stationären Versorgungsbereich. Krankenhäuser wurden ausgebaut und nahmen zusätzlich Ärzte auf. Wer sich niederlassen wollte musste lange auf eine Kassenstelle warten oder sich als Wahlarzt versuchen. Denn anders als die Krankenhäuser sahen die Krankenkassen keinen Grund die Kassenstellen großzügig auszubauen und die Honorare wie auch das Leistungsspektrum den Erfordernissen einer rasch fortschreitenden medizinischen Entwicklung anzupassen. Auch den veränderten Bedürfnissen der wachsenden und alternden Bevölkerung wurde man im kassenärztlichen Versorgungsbereich nur unzureichend gerecht.

 

Mit dem Beitritt Österreichs zur EU eröffnete sich die Möglichkeit für österreichische Ärztinnen und Ärzte ins benachbarte Ausland zu migrieren. Zudem mussten die heimischen Universitäten 25% der Ausbildungsstellen für nichtösterreichische Studentinnen und Studenten freihalten. Parallel dazu verschob sich das Geschlechterverhältnis in der Ärzteschaft zugunsten der Ärztinnen. Ihre Bedürfnisse und Möglichkeiten den ärztlichen Beruf zu leben fordern ebenso Veränderungen wie alle übrigen Lebensentwürfe und Berufsvorstellungen der nachrückenden Generation.

 

Steigende Patientenzahlen, bei nahezu unveränderter Zahl an Kassenstellen, zwingen Kassenärztinnen und Kassenärzte in ein Hamsterrad einer kaum zu bewältigenden Massenmedizin. Trotzdem erhöhen sich die Wartezeiten. Das drückt die Lust der Ärzteschaft sich diesem Kassenarztsystem zu unterwerfen. Sie will sich nicht mehr in restriktiven Kassenverträgen mit vielen Pflichten, Kontrollen und ausufernder Bürokratie bei relativ bescheidenen Honoraren und oft kaum zu bewältigenden, hohen Patientenzahlen binden.

Versorgungsbedingungen, die auch vielen Patientinnen und Patienten das Kassensystem unattraktiv erscheinen lassen. Sie wenden sich deshalb, meist gestützt auf einen privaten Krankenversicherungsschutz, vermehrt an Wahlärztinnen und Wahlärzte.

 

In der Verantwortung der Gesundheitspolitik wäre es schon lange gelegen, die Krankenkassen an ihren gesetzlichen Versorgungsauftrag zu erinnern und den damit verbundenen Abschluss von Verträgen mit Ärztinnen und Ärzten einzufordern. Schließlich obliegt es der Sozialversicherung die ausreichende Versorgung der Versicherten und ihrer anspruchsberechtigten Angehörigen - bei freier Auswahl zwischen mindestens zwei in angemessener Zeit erreichbaren Ärzten - sicherzustellen. Dass man mit veralteten Vertragsinhalten bei der Ärzteschaft nicht punkten kann, zeigt die Entwicklung. Von den Krankenkassen zeitgemäße und attraktive Vorschläge zu verlangen und das System zukunftsfähig zu gestalten, ist Aufgabe der Politik. Dazu müssen demotivierende Hemmnisse abgebaut und Ärztinnen und Ärzte für das System der sozialen Krankenversorgung begeistert werden.

 

Haltet den Dieb zu rufen, um eigene Versäumnisse zu kaschieren mag absurd und lächerlich erscheinen. Zum Lachen ist die aktuelle und prognostizierte Versorgungssituation keinesfalls.