Nur keine Wellen! - Ein Gefühl, das sich einschleicht, wenn man die Kurzfassungen und Präsentationen der mit Spannung erwarteten Studie der London School of Economics zur Analyse der Österreichischen Sozialversicherung liest. Altbekannte Strukturschwächen werden aufgezeigt und Lösungsansätze ohne revolutionäres Potential geboten.
Zudem schmeicheln die Studienautoren dem österreichischen Selbstbewusstsein mit dem Lob, dass unser Gesundheitswesen trotz der erhobenen Schwächen sehr gut sei. Denn es zähle zu jenen europäischen Ländern mit dem niedrigsten ungedeckten medizinischen Bedarf und den höchsten Zufriedenheitswerten. Und mit einem Anteil der Gesundheitsausgaben von 10,4 % des BIP liege man auch nur knapp über dem EU(28)-Schnitt. Grundlegende Änderungsvorschläge zu geben, sei auch nicht ihre Intention gewesen, erklären die Ökonomen der Londoner Universität, würden doch, aufgrund der Vielschichtigkeit der Verwaltungsstruktur und wegen der dualen Finanzierung, notwendige tiefgreifende Änderungen im österreichischen Gesundheitssystem eine große Verfassungs- bzw. Staatsreform voraussetzen. Und so blieben die im Überblick aufgezeigten Kritikpunkte und die Handlungsoptionen auf ein Ausmaß beschränkt, das eine Präsentation kurz vor einer Nationalratswahl als ungefährlich erscheinen ließ.
Dass in den Empfehlungen der gesetzliche Auftrag an die ÖÄK-Tochter ÖQMed zur Qualitätsüberprüfung der Arztpraxen in Frage gestellt wird und diese Aufgabe der Selbstverwaltung der Ärzte entzogen werden sollte, wird den Durchschnittsösterreicher in seiner Wahlentscheidung kaum beeinflussen. Warum das kleine ÖÄK-Qualitätsinstitut, das gerade die zweite Evaluierungsrunde erfolgreich abgeschlossen und damit seit seinem Bestehen über 40 000 Arztpraxen evaluiert hat, überhaupt die Ehre zu Teil wurde, im Bericht herausgehoben zu werden, erschließt sich erst im Volltext der Studie. Im Anhang findet man dort die Stellungnahmen verschiedenster Stakeholder. So auch die der Institutionen, die schon lange die ÖQMed kritisieren, ihr mangelnde Unabhängigkeit und der ÖÄK fehlende Sanktionsmöglichkeiten bei aufgezeigten Qualitätsmängeln unterstellen. Das Gesundheitsministerium oder eine zwischengeschaltete, unabhängige Institution würden mehr Qualität garantieren, kann man daher in der Effizienzstudie lesen.
"Nachtigall, ick hör dir trapsen!“ Die Lektüre des Volltextes vermittelt generell ein klareres Gefühl für die Brisanz der Studienergebnisse und das Veränderungspotential, das tatsächlich in ihnen steckt. Selbst wenn die verantwortlichen Ressortminister a prima vista aus den vier Vorschlägen zur Strukturreform die Variante zu präferieren scheinen, die außer einer besseren Koordination und einem Risikostrukturausgleich zwischen den Trägern kaum Änderungen verspricht. - Der Eindruck täuscht! Denn allein die Einnahme, Verwaltung und Verteilung der Ausgleichsmittel zum geforderten Risikostrukturausgleich, haben Potential zur Machtverschiebung. Egal, ob dabei von Pool oder Fonds die Rede ist, die Mittel sollen vom Hauptverband verwaltet werden. Auch die Milliarden an Rücklagen der Sozialversicherungen sind den Studienautoren ins Auge gestochen. Hier wird ebenso ein Pooling der liquiden Mittel in den Händen das Hauptverbandes vorgeschlagen. Die freien Gelder könnten vermehrt für Investitionen in kasseneigene Versorgungseinrichtungen genutzt werden. Die Studie kommt zum Schluss, die Sozialversicherungsträger sollten ermutig werden in den Ausbau der Versorgungskapazitäten zu investieren und Leistungen, zumindest teilweise, auch in eigenen Einrichtungen, die trägerübergreifend genutzt werden könnten, anzubieten.
Der Vorschlag die Position der Krankenkassen in den Vertragsverhandlungen mit den Ärztekammern zu verbessern und die Aufzählung der Möglichkeiten dazu, wie etwa den Abschluss von Einzelverträgen, ist aus der Sicht der ärztlichen Standesvertretung nicht gerade erfreulich.
Insgesamt finden sich in der Studie viele Vorschläge und Überlegungen zur Zentralisierung und zur Stärkung des Bundeseinflusses in der Hand von Gesundheitsministerium und Hauptverband. Das erfolgt nicht nur zulasten der Ärzteschaft oder der Selbstverwaltung der Träger, sondern auch der Länder. So wird vorgeschlagen, dass die Kassen den Betrieb der Krankenhausambulanzen übernehmen könnten. Damit würde eine weitgehende ambulante Versorgung über eigene Einrichtungen der Kassen und die von ihnen betriebenen Ambulanzen möglich.
Warum sich die Länder zur Studie noch nicht geäußert haben, ist schleierhaft. Schließlich sind sie es, deren Einfluss und Gestaltungsmöglichkeit in Frage gestellt wird. Gleichzeitig gehen die Autoren offensichtlich davon aus, dass sie als Finanziers der Reformen herhalten müssten. Denn sie seien ja auch schuld, dass es eine Überversorgung mit Krankenhäusern gäbe, woraus sie nur die Vorteile genössen. Ohne die eigenen Landesbürger zur Kasse bitten zu müssen, übten sie auf Kosten aller Steuerzahler und der Sozialversicherten praktisch allein die Kontrolle über ihre Krankenhäuser aus, kritisieren die Autoren.