Zwischen Fakten und Fake

 

Nein, diesmal nicht wieder die falschen 75 Primärversorgungszentren und die unsicheren 200 Millionen für die Primärversorgung. Es gibt genügend weitere Beispiele, wo die Faktenlage nicht ganz der öffentlichen Darstellung entspricht.

 

Dabei wäre es zu einfach die Schuld dafür allein den berichtenden Medien anzulasten und sie deren Recherchemüdigkeit zuzuschreiben. Meist sind es schon die Erfinder und Sender der Botschaften, die auf eine gewisse Unschärfe in der Darstellung achten.

 

„Mutter-Kind-Pass nun auch als App verfügbar“, titelten im Juli dieses Jahres österreichische Medien. Oder: „Die digitale Version des Mutter-Kind-Passes wurde am Montag von Familienministerin Sophie Karmasin in Wien präsentiert.“ Natürlich hatten Familienministerin Karmasin und Neo-Hauptverbandschef Biach bei der Präsentation die korrekten Ausdrücke Familien-App und Eltern-Kind-Pass in den Mund genommen. Gehört wurde aber offensichtlich Mutter-Kind-Pass-App. Eine App, damit auch bei verlorenem Mutter-Kind-Pass die Entwicklungsschritte der Kindheit dokumentiert bleiben und man weltweit darauf zugreifen könne, so der kolportierte Mehrwert des elektronischen Helferleins. Selbst in der Videodarstellung von Ministerin und HV-Vorsitzenden spricht der Zwischentext von Mutter-Kind-Pass. Dass man die Untersuchungsergebnisse und Impfungen selbst nachtragen muss und die brandneue App kein elektronischer Mutter-Kind-Pass, sondern bestenfalls eine Art Kalender für Untersuchungs- und Impftermine sei, war der öffentlichen Darstellung nur bei akribischer Recherche zu entnehmen.

 

Selbst einer unklaren Faktenlage auf den Leim gegangen war 2005/06 die Chefin im Gesundheitsressort, was der Nachwelt letztendlich Millionen unbrauchbarer Gesichtsmasken und Tonnen eines Grippemedikaments einbrachte. Mit der derzeitigen Familienministerin verbindet sie ihr Faible für Gesundheitspässe. Ein Stapel dieser Drucksorten für verschiedenste Lebensphasen gehörte zum politischen Vermächtnis.

 

Zahlenspiele des Hauptverbandes: Wie das Gespenst von Loch Ness taucht die Fama über die geringen Verwaltungskosten der österreichischen Sozialversicherung auf. So auch heuer: Mit Stolz wurde erst kürzlich auf einen österreichfreundlichen OECD-Vergleich als Effizienzbeweis in der Verwaltung verwiesen. Dabei pfeifen es die Spatzen seit Jahren von den Dächern, dass der tatsächliche Verwaltungsaufwand bei kritischer Betrachtung mehr als doppelt so hoch sei, wie die ausgewiesenen 2,8%.

 

Nicht nachvollziehbar sind auch die Anfang August von der HV-Spitze präsentierten Einsparungsprognosen, die sich aus dem Einsatz moderner Informationstechnologien ergäben. Sogar den Versicherten wurden Einsparungen - zwar nicht in Geld - aber immerhin als Zeitersparnis im Ausmaß von mehreren Millionen Stunden pro Jahr in Aussicht gestellt. Dass es sich dabei um "konservative Schätzungen" und durch „Studien belegte Zahlen“ handle, wie Hauptverbandschef Alexander Biach versicherte, macht die Botschaft nicht gerade transparenter.

 

Wahre Höhenflüge erleben schwer zu verifizierende Meldungen in Vorwahlzeiten. Angetrieben durch den Speed elektronischer Medien und die Streubreite sozialer Netzwerke mutiert dabei die altbekannte Zeitungsente zur sprichwörtlichen „Lame Duck“. Der elektronische Fortschritt ermöglicht es nicht nur politischen Interessensgruppen sondern jedermann Meinungen zu produzieren und Meldungen zu vervielfachen. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Information, Werbung, Selbstdarstellung oder Bauernfängerei und Fake News im Sinne von schwindeln, fingieren, erfinden, fälschen. Entsprechend fallen dann die Reaktionen der Empfänger der Botschaften aus. Zustimmung, Ablehnung, Entrüstung, Widerspruch, Beschimpfung und Zweifel machen sind in den Foren, wie an virtuellen Stammtischen breit. Der weitaus größere Teil der Konsumenten scheint allerdings die schnelle und kurzlebige Nachrichtenflut als Teil der Unterhaltung zu konsumieren und ihr den Stellenwert einzuräumen, den man auch Spielfilmen und Werbespots zumisst: Egal, ob ein Bundeskanzler als Pizzabote an der Wohnungstür läuten könnte oder Schweden nachempfundene „Virtual Care Rooms“ zukünftig die wohnortnahe medizinische Versorgung Österreichs sichern sollten.