Versorgungsrealität

 

Ein sich in den letzten Jahren wiederholendes Szenario: Stellenausschreibung für freie Stellen in Tirol. Kaum Interessenten. So auch dieses Mal. 21 Stellen war es, die neue Vertragsärztinnen oder Vertragsärzte suchten. Um neun Hausarztstellen bewarben sich insgesamt drei Kandidaten. So konnten zumindest die Stellen in Hopfgarten, Zell am Ziller und Söll besetzt werden. Offen blieben sechs weitere, die zum Teil schon mehrmals ergebnislos ausgeschrieben waren. 

 

Interessantes Detail: Alle sechs unbesetzt gebliebenen Stellen liegen topografisch gut, was etwa das Angebot an Schulen, Geschäften, Ämtern oder weiteren Gesundheitseinrichtungen betrifft. Gesucht sind Ärzte in größeren Gemeinden, Bezirksstädten oder deren nahen Umgebung. In Kufstein, Telfs, Lienz, Kitzbühel, Fließ bei Landeck und Kirchberg bei Kitzbühel um genau zu sein. Weit weg von den entlegenen ländlichen Problemregionen, deren Versorgung der Tiroler Politik sogar Pläne zur Errichtung einer privaten Medizin-Uni wert sind.

 

Auch die 12 Facharztstellen der Ausschreibung sind eine Analyse wert. Vier gültige Bewerbungen gab es für eine Urologenstelle in Telfs. - And that´s it.- Keine einzige Bewerbung für die übrigen 11 Stellen. So bleiben Frauenarztstellen in Innsbruck und Wörgl oder Augenarztstellen in Reutte und St. Johann unbesetzt. Drei Standorte für Psychiatrie suchen, obwohl sie in der Inntalfurche liegen, weiterhin fachärztliche Versorgung. Ebenso zwei Hautarztpraxen, eine in Kufstein und eine in Reutte. Selbst eine HNO-Stelle in Innsbruck findet keine Nachfolge und auch die Kinder in St. Johann müssen weiter auf die Besetzung der pädiatrischen Stelle warten.

 

Gleichzeitig verschärfen der Abbau von Krankenhausambulanzen, die Auslagerung von Patienten in den niedergelassenen Bereich und damit verbunden, zunehmende Wartezeiten die fachärztliche Versorgungssituation.

 

Zustände, wie hier für Tirol beschrieben, sind auch in anderen Bundesländern zu finden. Wenn man mit den kaum besetzbaren Kassenstellen die Niederlassungszahlen von Wahlärztinnen und Wahlärzten vergleicht, sieht man, dass das Gründen von Praxen durchaus „in“ ist. „Mega-out“ scheint allerdings die Begeisterung zur Übernahme einer Kassenstelle zu sein. Man tue sich eine Kassenstelle, die mehr Pflichten und Auflagen als notwendigen Ertrag bedeutet, einfach nicht an, so der häufig gehörte Tenor.

 

Und was machen die Verantwortlichen? Sie schaffen Gesetze, um Hausärzte in kassenärztliche Gemeinschaften zu zwingen. Alternativ schweben ihnen Kassenambulatorien zur Primärversorgung vor. Dass man in beiden Versorgungsformen Ärztinnen und Ärzte brauchen und nicht finden wird, wird als Schwarzmalerei der Ärztevertreter abgetan. Auch lokale gesundheitspolitische Kreativität erweist sich nicht immer als das Gelbe vom Ei. So etwa die Unterstützung der „Primärversorgung neu“ in der Steiermark durch den zweckentfremdeten Einsatz von Notarztteams, die als mobiler Hausarztersatz in entlegenen Bauernhöfen werken sollen. Oder wenn man in Krankenhäusern von Allgemeinmedizinern geführte Ambulanzen zur hausentlastenden Triage des unselektierten Patientenanfalls einrichtet, um Patienten in die ohnehin ausgedünnte Versorgungslandschaft der Kassenarztpraxen zurück zu schicken. Apropos Triage: Wer will schon triagiert werden? Da klingt es schon besser, wenn man diese Ambulanzen fälschlicherweise aber publikumswirksam PHC nennt und damit der zuletzt heftig diskutierten Primärversorgung zuordnet. So unter dem Motto: „Was soll´s? Es wissen ohnehin nur wenige was das Kürzel bedeutet und wie wohnortnahe Primärversorgung wirklich unterstützt werden müsste!“

 

Besonders die vielen vakanten Facharztstellen werfen die Frage auf, was mit den Patientinnen und Patienten, die fachärztliche Hilfe benötigen, geschehen soll. Was ist geplant, wenn der Abbau der österreichtypischen Spitalslastigkeit wirklich Realität wird? Wohin mit den Kranken, deren Weiterbehandlung nach der Erstversorgung im Krankenhaus in den Praxen niedergelassener Fachärztinnen und Fachärzte ansteht? Wo sind die ambulanten Versorgungsstrukturen und wie gewinnt man Ärztinnen und Ärzte dort auch kassenärztlich tätig zu werden?

 

 

Artur Wechselberger