Neue Ordnung

 

 „Ein sicheres Mittel, die Leute aufzubringen und ihnen böse Gedanken in den Kopf zu setzen, ist, sie lange warten zu lassen!“ Soweit die Meinung von Friedrich Nietzsche zum Thema Warten. Keine besondere Reaktion schien allerdings die Verzögerung der Präsentation der Studie der London School of Economics (LSE) zur Effizienzsteigerung der österreichischen Sozialversicherung auszulösen. Nach ein paar Kommentaren, die weder ein lautes Rauschen im Blätterwald noch eine besondere politischen Diskussion auslösten, war das Thema durch das mediale Sommerloch gefallen. Dabei ist es ja wirklich spannend zu erfahren, mit welchen Empfehlungen eine namhafte wissenschaftliche Institution der Fortbestand unseres Sozialversicherungssystems nachhaltig sichern will.

 

Vielleicht sind es doch böse Gedanken im Sinne von Nietzsche, die meine Erwartungen bestimmen: Was immer es an Empfehlungen geben wird, sie werden ausschließlich dem System- und Machterhalt eines öffentlichen Gesundheitssystems im traditionellen Sinne dienen. Es würde mich wundern, wenn das Heil gegen die drohende Untergrabung der „alten Ordnung“  nicht im Aussitzen und in Rettungsschirmen für Altbewährtes gesucht und die Verursacher der Malaise in altbekannten Reibebäumen wie den Ärztekammern oder der pharmazeutischen Industrie geortet würden.  Die Überschätzung der Robustheit von Hauptverband & Co sowie der staatlichen Systemvorgaben wird den Veränderungsbedarf auf Fragen zur Anzahl und Organisation der Sozialversicherungsträger sowie der Schärfung steuernder Durchgriffsrechte konzentrieren. Dabei wird sorgsam verdrängt werden, dass sich schon längst eine „neue Ordnung‘“ ankündigt. Sie wird durch technologieinduzierte Innovationen wie etwa die Digitalisierung aber auch durch ein verändertes Konsumentenverhalten das Gesundheitswesen ebenso überrollen, wie andere wirtschaftliche und gesellschaftliche Bereiche. Dort sind es agile und anpassungsfähige Unternehmen, die Märkte, neue Geschäftsmodelle und Wettbewerb beherrschen. Digitale Vernetzung, Integration und Virtualisierung haben aber auch das Potential das Gesundheitswesen grundlegend zu verändern.

 

Rechtliche, technische, ökonomische, gesellschaftspolitische oder kulturelle Barrieren werden die  „alte Ordnung“ nicht dauerhaft schützen und aufrecht erhalten. Nicht nur durch mangelnde Personalressourcen sondern allein schon durch eine kritische Masse an digital Natives könnte sich etwa die Telemedizin, in der noch kaum fassbaren Vielfalt ihrer Möglichkeiten, als dominantes Paradigma zur medizinischen Versorgung durchsetzen.

 

Auch ein geändertes Marktverhalten, wie es die Bevölkerung heute schon zeigt, verändert das System. Ein hoher Anteil an Privatversicherten, steigende Frequenzen bei Wahlärzten und anderen Privateinrichtungen sind Zeugen dieses Prozesses: Ärztinnen und Ärzte aber auch Patientinnen und Patienten laufen dem traditionellen Versorgungssystem davon. Flexibilität, smarte Optionen und eine gesteigerte Kundenorientierung der privaten Anbieter zehren an der Attraktivität der sozialen Krankenversorgung. Die starren, offensichtlich nur auf Sparen ausgerichteten Vorgaben der Krankenkassen und der öffentlichen Träger verstärken diesen Effekt. Ebenso die Hilflosigkeit, mit der versucht wird Versorgungsengpässe durch gesetzliche Regelungen zu entschärfen.

 

Oder liege ich falsch mit meiner Ahnung, dass nach Vorschlägen der LSE-Studie die „alte Ordnung“ gestrafft, gestärkt und einzementiert werden soll? Ist meine Sorge unbegründet, in der ich Pläne zur Einschränkung der Wahlfreiheit, zur Verhinderung von Wettbewerb und für eine gestärkte zentrale Dominanz und staatliche Kuratel erwarte?  

 

Wir werden ja bald sehen wie weit ein liberales und innovatives Ergebnis möglich ist, wenn eine wissenschaftliche Einrichtung im Mutterland der staatlichen Gesundheitsversorgung das österreichische Sozialversicherungssystem seziert und Ratschläge zur Verbesserung formuliert.

 

Artur Wechselberger